von Berenice Josephine (Berry) Bickle
Malerin und Multimedia-Künstlerin aus Simbabwe
Bickle lebt und arbeitet in Maputo, Mosambik
Assemblage: Wasserfarbe, Porzellan, Nägel, Draht, Papiermasse in Kunstharz-Lw. eingeschweißt
54 x 68 cm, Holzrahmen/Glas 65 x 90 cm
Provenienz: Gallery Delta 1996
Sammlung
Berry
Bickle nahm an zahlreichen internationalen
Ausstellungen teil, so unter anderem 2011 an der Biennale in Venedig und 2014 an der Ausstellung "Die Göttliche Komödie" im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main.
"Die Vergangenheit ist Ton,
den die Gegenwart nach Belieben knetet.
Unaufhörlich." (Jorge Luis Borges)
Zum Werk 'Journal' von Berenice Josephine (Berry) Bickle
Berry Bickle arbeitet medienübergreifend und mit einer hohen Durchlässigkeit zwischen den künstlerischen Disziplinen. Ihr Spektrum reicht von Malerei, Zeichnung und Keramik über Theater- und Tanzszenografie bis hin zu Installation, Fotografie und Video.
Zu den wiederkehrenden Themen ihres Gesamtwerks gehört die Auseinandersetzung mit totalitären Systemen und den subtilen Beziehungen zwischen Macht, Sprache und Denken. Vor dem Hintergrund, dass in die Sprache einer jeden Gemeinschaft bereits deren Machtstrukturen eingeschrieben sind, sucht sie nach künstlerischen Mitteln, diesen Zwängen zu entkommen.
Dem voraus geht eine intensive Geschichts- und Gesellschaftsrecherche, die die Weltsicht kanonischer Texte der Literatur auf den Prüfstand stellt, um sie schließlich in der kreativen Aneignung - Bickle nutzt hierfür den Begriff "rewriting" - in eine prozesshafte, vielschichtige Neuerzählung zu überführen. Wenn Berry Bickle sich selbst einmal mit der Erzählerin Scheherezade (1) in Zusammenhang gebracht hat, die, um dem Tod zu entrinnen Geschichten erfand und - Dank des gesprochenen Wortes - auch andere Leben zu retten vermochte, dann öffnet sich mit dieser Analogie eine Tür in ihr künstlerisches und biografisches Universum.
Die Assemblage "Journal" aus dem Jahr 1996 fällt in eine Entstehungszeit, in der das herrschende gesellschaftspolitische Klima Simbabwes vom Alpdruck autokratischer Willkür, Studenten- und Arbeiteraufständen und der Angst zu sprechen geprägt ist. (2) Zu diesem Zeitpunkt beschäftigt sich die Künstlerin bereits intensiv mit den ästhetisch-philosophischen Theorieansätzen französischer Denker der Postmoderne, die als Denkanregung in ihre sinnlich erfahrbaren Arbeiten einfließen.
Mein Eintritt in "Journal" verläuft zunächst über die sinnliche Wahrnehmung der (Bild-)Haut. Diese besteht wie die menschliche Haut aus einer Zwei-Schicht-Membran und ist Manufakturarbeit im besten Sinne des Wortes. Bildträger ist eine Leinwand, die Bickle mit handgeschöpftem Naturpapier unterschiedlicher Stärke, Dichte und Oberflächenkonsistenz überzogen hat, so dass sich eine pergamentartige Wirkung mit leicht glänzender Oberfläche entfaltet. An den Rändern gibt der zarte, fast transparente Papierauftrag den Blick auf das darunter liegende lichte Blau der Leinwand frei.
Durch die Verdichtung der Büttenmasse entsteht eine flächenfüllende zweite Bildebene, deren rechteckige Form an die aufgeschlagene Doppelseite eines alten Folianten oder einer Zeitung erinnert. Tastend erschließt sich das Auge die amorphe Bildhaut mit ihren gefurchten und glatten, anschwellenden und abschwellenden Zonen, ihren Einschlüssen, Eingrabungen und Fältelungen.
In die weiche Textur sind Eisennägel unterschiedlicher Größe eingegraben, teils von der Papierhaut umhüllt, teils in ihrer Objektblöße freigelegt. Einige kleinere Nägel hinterlassen nur noch ihren rostigen Abdruck, während ein knapp handgroßer Stahlnagel die linke obere Bildhälfte dominiert und Verletzlichkeit und Schmerz nahezu körperlich spürbar werden lässt.
Ein strichweise weiss bemaltes Objekt auf der nach oben verschobenen Bildmitte schafft eine weitere dreidimensionale Verräumlichung. Aus der Ferne betrachtet ähnelt die Form einem Stück zerrissenem Papier mit schwarzen, linear verlaufenden Farbeinsprengseln. Erst die Nahsicht zeigt, dass es sich um einen Scherben aus Porzellan handelt, über den die Künstlerin Ketten von Zeichen laufen lässt.
Sie ähneln in den geschwungenen Bögen, den Höhen, Längen und Kehren einer flüchtig dahineilenden Handschrift, die aber nicht lesbar ist und auch keinerlei Brücken zur Herstellung von Sinn schlägt. Hier zeigt sich möglicherweise das, was Foucault in einem anderen Kontext „szenischer Stillstand“ genannt hat, „bei dem man weder weiß, was stillgestellt wird, noch auf welcher Bühne.“ (3)
Die Abwesenheit von Inhalt schafft zunächst einmal Offenheit und es scheint fast, als liege hier eine grundsätzliche Deutungsfrage zugrunde, die von der Künstlerin auf den "Lese-Betrachter" übertragen wird und uns in das Reich unserer eigenen Einbildungskraft führt. Diese gemeinsame "Not" wird von Bickle noch stärker genährt, denn sie lagert in das Bild weitere verzögerte Entdeckungen ein. So schält sich aus der durchfurchten Papierlandschaft auch Schrift als lesbarer Text heraus. Hier navigiert und rebelliert ein einziger handgeschriebener Satz über die Bildfläche: "Talk to me"... Gebetsmühlenhaft wiederholt sich die Aufforderung, breitet sich zaghaft und ortsuchend mit weichem Bleistiftdruck auf dem Papier aus oder behauptet mit harter Stiftspitze und starker Stimmpräsenz seinen Platz auf dem Bildkörper. (An)sprache wird Teil eines immer wieder in Gang zu setzenden Prozesses der Sinnbildung und der Wiederholung.
"Sprich mit mir"... wir könnten diesen eindringlichen Appel auch weiterführen ... damit wir uns gemeinsam erinnern. Nach Maurice Halbwachs' Theorie des sozialen Gedächtnisses entstehen Erinnerungen erst durch Kommunikation und Interaktion mit anderen. (4)
Auch die mündliche Erzähltradition, der in der Gesellschaft afrikanischer Länder eine elementare Funktion zukommt und stets eine Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit schlägt, ist in diesem Zusammenhang von hoher Bedeutung. In den immer wieder erzählten Geschichten werden Wissen und gemeinsame Wertvorstellungen ins Bewusstsein gerufen und weitergegeben. Und wie im Fall der Scheherazade in den Geschichten aus 1001 Nacht kann Erzählen durchaus auch ein Widerstand gegen die Zeit und den Tod bedeuten. „Kaum etwas ist so flexibel wie das Wort" sagt Simbabwes berühmter Dichter Chirikure Chirikure. "Sie können es sprechen, murmeln, flüstern, singen, schreien, Sie können es sogar husten. Und wir Menschen haben das tiefe Bedürfnis, miteinander zu sprechen, uns zu verständigen, indem wir einander alles Mögliche zuwispern. (...) Wenn wir das Wort nicht weitertragen, werden wir bis ins Grab höchstens ein Hüsteln hervorbringen." (5)
Text: Angelika Sommer
(1) Berry Bickle, Visual Artist, Les Éditions de L'CEIL, Montreuil 2008, S. 6-21
(2) Vgl. hierzu die Studie des Historikers Sabelo J. Ndlovu-Gatsheni: Dynamics of the Zimbabwe Crisis, in: African Journal on Conflict Resolution , issue1 2003, p. 99-134 und Bartholomäus Grill, Der alte Mann und die Macht, in: DIE ZEIT Nr. 15/1996: "Niemand wagt es, in den staatlich kontrollierten Medien den Mund aufzumachen. (...) Im Wahlkampf wurde die Financial Gazette, die letzte unbotmäßige Zeitung des Landes, auf eine 'robust simbabwsche Linie' getrimmt."
(3) Michel Foucault, Raymond Roussel, Frankfurt/M., 1989, S. 27
(4) Vgl. Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankf./M. 1985, zuerst Paris 1925 und Jan Assmann, der auf der Basis von Halbwachs Theorie den Begriff des "kommunikativen Gedächtnisses" einführt, s. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Assmann/Hölscher, Hg., Kultur und Gedächtnis, Frankf. M. 1988, S. 9-19 )
(5) Chirikure Chirikure, Orte der Fiktion, aus dem Gedicht: ...ich war im Land stummer Echos...