von John Takawira
Bildhauer aus Simbabwe
Black Serpentine, 25,5 x 14 x 21 cm, 4 kg
Provenienz: Gallery Watatu, Nairobi, Kenia 1988
Als ich 1986 die Gallery Watatu in Nairobi besuchte, sprang mir augenblicklich eine Steinskulptur ins Auge. Sie hob sich von allen Skulpturen ab, die ich bisher in Ostafrika gesehen hatte. Sie war nicht aus hellem, weichen Speckstein gehauen, sondern glänzte tiefschwarz im Scheinwerferlicht der Galerie. Ich betrachtete sie von allen Seiten und staunte über ihre vollkommene Form. Ich frug Ruth Schaffner, die Galerie-Besitzerin, nach dem Schöpfer dieses kleinen Werks. Sie antwortete mir: „John Takawira. Er ist einer der besten Bildhauer in Zimbabwe.“ Schon bei dieser ersten Begegnung wollte ich dieses Kunststück erwerben, doch als die Galeristin den Preis nannte, gab ich mein Ansinnen auf und verabschiedete mich.
Zwei
Jahre später schaute ich wie immer, wenn Kenia mein Reiseziel war,
als erstes in die damals renommierteste Galerie Nairobis. Und was sah
ich? In einer dunklen Ecke lag der Stein. Verstaubt und völlig
unbeachtet fristete er ein kunstloses Dasein. Ich war vor dem Kopf
gestoßen und bat darum, diese vernachlässigte Skulptur zu entstauben
und auf einen Sockel stellen. Nun gab es für mich kein Zögern mehr.
Am 3. März 1988 wurde „Abstract“ von John Takawira mein
Eigentum.
Warum aber fasziniert mich dieses unscheinbare Gebilde bis heute? Es ist doch nur ein schwarzer Stein. Er besitzt kein Gesicht und stellt nichts dar. Vom Künstler ist er nur wenig bearbeitet worden. Dennoch: Diese wenigen Eingriffe, die Zuspitzungen der verschiedenen Seiten, die Spuren der Hammerschläge und die Herausarbeitung der Standfläche machen den schwarzen Serpentin zu einem Beispiel für menschliches Schöpfertum. Ein ausgewaschener Kiesel kann ebenso Bewunderung hervorrufen, doch hier ist es das Zutun des Bildhauers, der dem gefundenen Ding sein Leben einhaucht. Allein durch dieses Zutun wurde aus dem unscheinbaren Findling das Kunststück, das es heute ist.
Takawira war zum Zeitpunkt der Erschaffung dieser Skulptur ein Künstler, der sich durch geheimnisvoll symbolistische Figuren und aufwühlende Mensch-Tier-Geschöpfe einen Namen gemacht hatte. Figuren mit Titeln wie „Skeleton Baboon“, „Fire Spirits“ oder „Spiritual Ladies“ lassen eine Nähe zur Mythologie des Shona-Glaubens ahnen, auch wenn sie freie Erfindungen eines Künstlers sind. Nun also widmete er sich dem Spiel mit der Abstraktion.
Wahrscheinlich besaß der ursprüngliche Stein schon in etwa die Form, die er heute hat. Eine ungleichmäßige Verdickung am einen Ende des Serpentins und von dort ausgehend eine vierseitige Zuspitzung zum anderen Ende. Was der Bildhauer aber gemacht hat, ist, dem Stein einen neuen Stand zu geben und seine Rundungen, Einbuchtungen und Kanten zuzuschleifen. Das zuerst wohl nur liegende Gebilde, wurde von ihm aufgerichtet, sodass seine spannungsreiche Ästhetik nun von allen Seiten betrachtet werden kann. Im Grunde hat der Künstler die ursprüngliche Form belassen, vorhandene Ausbildungen aber verstärkt.
Ein weiterer Eingriff in die steinerne Natur besteht darin, dass die Rauhheit dem Schliff weichen musste. Die Augen des Künstlers sahen mehr als nur einen dreckigen Klumpen, sie wussten, wie der Stein zum Leben erweckt werden kann. Nicht allein durch Verformung, auch durch feine Bearbeitung der Außenseite erhält ein solches Stück ein neues Antlitz.
Wenn man das Kunststück von einer bestimmten Seite betrachtet, erscheint seine Form bewegt und tänzerisch, fast so, als sei hier das Prinzip von Standbein und Spielbein zum Vorschein gebracht. Betrachtet man es von der Gegenseite, scheint die Form zu fliehen, sich zu verlieren. Einerseits ist die Figur nach außen gewölbt, andererseits wirkt sie wie eine hohle Brust eingefallen. Ganz zart legen die Steinäderchen die Richtung nach oben fest, verleihen dem Gebilde Leichtigkeit und Schwung. Die Kanten zielen in die Höhe, doch das Zusammenfinden der oberen Kanten zur Spitze deutet weniger einen Abschluss an, vielmehr weist es über das Werk hinaus. Es transzendiert den Stein in eine neue Dimension des Seins. Ein einfacher Stein, vom Menschen zum Kunstwerk erhoben, erinnert daran, dass es über die Materie und das Materielle hinaus etwas Anderes gibt und geben kann.
Autor: Michael Drechsler