Sucht man in deutschen Wörterbüchern nach einer Übersetzung des englischen Begriffs „Entanglement“, so findet man Wortbedeutungen, die einen in ihrer Vielfalt beinahe verwirren. Entanglement kann in der deutschen Sprache „verfangen“ oder „verheddern“ heißen, ebenso „Verwicklung“, „Verstrickung“ oder „Durcheinander“. Verwiesen wird auf den Begriff „emotional entanglement“, was mit „gefühlsmäßige Verwicklungen“ übersetzt wird. Man kann in eine Scheidungsaffäre verwickelt werden. Und schließlich kann sich auch ein Hosenbein in einer Fahrradkette verfangen.
Selbst wer sich nicht vom Werktitel leiten lassen möchte, gewinnt rasch den Eindruck, dass mit der kleinen Skulptur von Diang’a etwas nicht stimmt. Etwas hat sich verknotet, dessen Ursache wir nicht auf direktem Weg auf die Spur kommen. Was zum Knoten im Mittelpunkt der Skulptur führt, können wir nur erahnen, da die andere Seite des Steines zunächst einmal verborgen bleibt. Der Knoten hat sich gut in das Oval eingenistet, so, als gäbe es keine andere Form für dieses Höhlengebilde. Er erinnert an den „Nabel als Urform allen Seins“, wie er in den Plastiken von Hans Arp an Bedeutung gewinnt. Einerseits führt ein Schatten in ein dunkles, unbekanntes Nichts, andererseits öffnet sich ein Durchblick auf die Gegenseite des Steines, ohne Auskunft darüber zu geben, was sich wirklich dahinter befindet. Je nach Position sehen wir in ein helles Nichts oder in Weltenlandschaften, die wir ebenso wenig ergründen können. Es ist ein Durchblick wie durch ein einäugiges Teleskop. Wir glauben, die Welt zu erkennen, und sehen doch nur einen Ausschnitt.
Bewegen wir uns auf die andere Seite der Skulptur, so bietet sich ein scheinbar einfach konstruiertes Griffgelenk mit drei Löchern dar. Man könnte an ein Wurfgeschoss denken, für das der Künstler einen neuen Griff entwickelt hat. Seine Helligkeit und rötliche Strahlen scheinen den Körper zum Schweben zu bringen. Allerdings spricht das Gewicht des Steins und seine Form dagegen. Auch wenn das Kunststück geradezu zum Anfassen und Anheben einlädt, geht von ihm eine widerständige Kraft aus, die eher zum Nachdenken über die sichtbaren Spannungen aufruft als zur schmeichlerischen Akzeptanz der Oberfläche. Denn das abstrakte, bauchige Gebilde ist weit mehr als ein ästhetisch harmonisches Objekt oder eine der Natur nachempfundene Form.
Widerständig wirken auch die Bänderungen, die den bauchigen Mittelteil der Gegenseite einfassen. Neben Gleichmaß und Zentrierung herrschen Dynamik und Gegensätze als Gestaltungselemente dieser Ansicht vor. Was auf den ersten Blick als einfacher Gegenstand erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine komplexe Plastik, die im unergründlichen Spiel des Zufalls ihren Ursprung hat.
Diang’a interessiert sich für das Wagnis der Formen. Abstraktion und Entgrenzung, ovale Ausbuchtungen und kreisförmige Löcher, Licht und Schatten rütteln die wohlfeile Form durcheinander, stemmen sich einer gefälligen Interpretation entgegen. „Entanglement“ mutet dem Betrachter zu, sich von konkreten Vorbildern, die er vielleicht auch in der Natur zu finden glaubt, zu lösen. Vielmehr fordert es dazu auf, noch einmal von Neuem über das dialektische Verhältnis von Chaos und Ordnung zu reflektieren.
Text: Michael Drechsler