„Koudohoun“, 1997
Acryl/Filzstift/Lw., 103 x 142 cm
Holzrahmen 105 x 145 cm
Provenienz: Cyprien Tokoudagba, Abomey, Benin 1998
Verkauft
Den Text zu "Koudohoun" hat die Autorin während einer Schreibaktion des Instituts für Kreatives Schreiben in den Räumen von Kunst Transit Berlin verfasst. Er wurde vom Titel des Buches "My name is Afrika" von Keorapetse William Kgositsile inspiriert.
„My name is Afrika“
Erst hatten sie ihr mit einem Krummdolch aus Rohdiamanten einen Arm abgeschlagen, später das Bein. Ihr Blut wurde zu Rubintränen.
Sie wehrte sich kaum. Es fehlten ihr die Worte in der fremden weißen Sprache. Als die Täter wieder fortfuhren, verhüllten sie lachend die gierigen Gesichter. Spät am Abend lag sie immer noch im blutigen Staub. Nilpferde und Elefanten gingen an ihr vorbei zur Wasserstelle. Als die mächtigen Tiere über ihr abgeschnittenes Bein hinweg traten, hörte sie das Trommeln ihrer Leute. Man suchte sie, man sehnte sich. War sie doch die Wiege der Welt, reich an Schätzen.
Sie jammerte, als man sie fand, und sie wand sich. Die ganze Nacht trommelten sie, den Tag und wieder die Nacht. Dann mussten sie erkennen, dass die Frau, die alle Himmelsrichtungen in sich trug, unrettbar verloren war.
Am dritten Tag in der Frühe legten sie sie unter eine Akazie, stellten eine Kalabasse mit trübem Wasser neben sie und verabschiedeten sich. Der Stammesälteste beugte demütig den Kopf gen Norden und Osten, rückte das abgeschlagene Bein zurecht und verschwand im Dunst der aufsteigenden Sonne.
Sie ergab sich still. Mit der übriggebliebenen Hand versuchte sie, die Kalabasse zu greifen, doch die Finger waren zu schwach.
Bis jetzt hatte sie nicht verstanden, was mit ihr geschehen war. Ihre brechenden Augen, gelb vom Virus, schauten geblendet in den blauen Himmel. Über ihr kreisten Schatten.
Der erste Geier, noch einer, und es wurden mehr und mehr. Unter der Kolonialherrschaft hatte sie lesen gelernt. Sie erkannte die Schriftzüge auf den Bäuchen der Vögel. „FED – Bank of America“, „Banco de Santander“, „Deutsche Bank“. Und jene Schrift dort? Das waren wohl kyrillische Buchstaben.
Immer mehr Vögel zogen erwartungsvoll ihre Kreise. Hinter den Geiern sah sie einen Drachen, grüngold, feuerspeiend und hungrig. Er kam aus China. Jetzt sah sie Hähnchenschenkel und abgeschnittene Flügel aus Europa heranfliegen.
Sie fühlte einen Moment wieder das Mitleid und Bedauern für die schwarzen Hähnchenzüchter. Dann wurde sie wieder abgelenkt von einem silbrigen Bild. Es flogen Fische durch die Luft. Unzählige fette Viktoriabarsche, gemästet mit dem Fleisch entsorgter Tutsi und Hutu. Gleich hinter den Barschen rauschten die Maiskolben. Dicke europäische Kolben, die sich auf ihre Umarbeitung zu Treibstoff freuten. Bald würde es noch leichter sein, den Barsch in europäische Münder zu schaffen. Sie seufzte auf. Da sah sie die blauen Helme ganz hinten heranfliegen. Hätten sie nicht vorn sein sollen?
Zu groß war die Übermacht. Sie wollte die Augen für immer schließen, als sie die beiden Kinder sah, ein Junge und ein Mädchen. Sie waren neugierig näher gekommen, um die Sterbende zu beobachten. In den Händen hielten sie gemeinsam ein schweres Buch. „Bildung“, entzifferte sie. Mit letzter Kraft lächelte sie den Kindern zu, riss sie die Lumpen von der Brust und zeigte ihre Schätze: Diamanten, Edelmetalle, Tiere und Landschaften, Hügel, Tiere, Menschen, Lieder und Kunst.
Die beiden hatten verstanden. Afrika lächelte noch einmal und beschloss, jetzt zu sterben.
In der Zeitung der nächstgroßen Stadt war zwei Tage später zu lesen, dass eine sterbende alte Frau von ihrem Stamm aus dem Dorf gebracht worden war.
Die Tote wurde von den Geiern nicht berührt. Sie trug ein Lächeln auf den Lippen.
Text: Katharina Weißbach-Hempel
Cyprien Tokoudagba am 5. 1. 1998 in seinem Atelier in Dahomey. Foto: Michael Drechsler
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