von John Yoga
Die schweigende Nacht hat das Weltall verschlungen unter ihren dunklen Mantel,
und die Mitternacht, schnell ihr gefolgt mit düsteren dantischen Schatten,
hat aus dem Bauche ihres Grabes alle Gespenster des schwarzen Afrika erweckt,
schwarz wie die Melancholie,
schwarz wie das Schicksal,
schwarz wie die Trauer,
schwarz wie das Elend, die Sklaverei und der Verrat.
Mitternacht, Mitternacht –
Stunde der Schwermut,
Stunde, wo Unentschlossenheit und Tod aufblühn,
unheilverkündend über den Hütten der Schwarzen im schwarzen Afrika,
schwarz wie die Melancholie,
schwarz wie das Schicksal,
schwarz wie die Trauer,
schwarz wie das Elend, die Sklaverei und der Verrat.
Mitternacht, Mitternacht –
bevorzugte Stunde der Gespenster.
Die Ahnen sind aus den Eingeweiden der verderblichen Erde gestiegen,
und um die schwarzen Sorgen des Unterirdischen zu zerstreuen, werden sie feiern
die Särge, die Trauer,
die Qualen, den Haß,
die Verachtung, die Ketten,
die Peitschen, die Knebel,
die Verzweiflung, die ihre unsicheren Seelen berauscht,
die Wunden, die im verborgenen bluten,
im Herzen des schwarzen Afrika,
schwarz wie die Melancholie,
schwarz wie das Schicksal,
schwarz wie die Trauer,
schwarz wie das Elend, die Sklaverei und der Verrat.
Mitternacht, Mitternacht –
es ist Mitternacht.
Die Toten aller Friedhöfe ringsumher sind herbeigeeilt
zum Orte ihres traditionellen Stelldicheins,
und der Tanz im Rhythmus,
der wilde, pathetische Totentanz,
windet ihre dürren Körper,
ihren Schweif, der faucht,
und ihre langen Haare, die walzen.
Sie nagen schweigend, ihre titanischen Gestalten
winden sich wie Pythonschlangen,
rollen sich auf in Spiralen,
um sich dann zu entfalten und hoch aufzusteigen ins ätherische Gewölbe.
Ihre Knochen krachen voller Verzweiflung,
ihre gehörnten Köpfe sinken und erheben sich gemeinsam,
ihr Atem wird hundert Kilometer weit
von einem ungestümen Lärm beantwortet, den trotzdem niemand hört.
Sie tanzen, die Gespenster.
Ihre Tam-Tams sind die Königskröten,
ihre Flöten die Waldkäuze,
ihre Geigen die Moskitos,
ihre Sänger die Grillen.
Sie knirschen wie das C,
wie das D,
wie das E,
wie das F,
wie das G.
Elend, das in der Ferne Barmherzigkeit erweckt,
in der Nacht, die erschreckt,
in der Nacht, die quält,
in der Nacht, die berauscht.
Zwei flüssige Ungeheuer – der Kongo und der Djoué vereint –
fangen ihre Raserei wieder an, die kocht, die donnert,
die sich im Herzen des schwarzen Afrika in Wasserfällen erregt.
Mitternacht, Mitternacht –
es ist Mitternacht, die mit ihrem Schrecken vorbeizieht,
es ist Mitternacht, die ihre verwirrende Glocke läutet,
Mitternacht, die ihren täglichen Kalender wechselt.
Die Gespenster tanzen
den Tanz der blutlosen Geschöpfe.
Feuerzungen springen aus ihren zahllosen Mäulern,
aus ihren hohlen Augenhöhlen,
die so leer sind wie das Leere,
aus ihren Ohren mit Elefantenmuscheln,
aus ihren Arschbacken,
die von den Geschwüren der Peitschenhiebe zerfressen sind.
Sie tanzen, die Gespenster,
den pathetischen Totentanz.
Mitternacht, Mitternacht –
aber Mitternacht geht vorbei. Die Erde ächzt und bebt
und öffnet ihren Unterleib: die Ahnen, jene Männer von gestern,
wie sie heute genannt werden, suchen schnell wieder ihre Gräber auf,
dunkel wie das schwarze Afrika,
dunkel wie die Betten der Flüsse,
wo die verschiedenen Seiten meines Ichs,
die in meiner Brust vibrieren, schlafen.
(Verfasser ist Beamter in Bas Kongo). Aus: Rolf Italiaander, „Kongo – Bilder und Verse“, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1959 (Rechteinhaber konnten - auch durch den Verlag - nicht ermittelt werden. M.D. Juni 2018)
Rolf Italiaander war Schriftsteller, Afrika-Reisender und Kunstsammler und wurde bekannt durch die Herausgabe zahlreicher Bücher über Afrika und die Wiederentdeckung und Rehabilitierung des Afrika-Forschers Heinrich Barth.