von Tiébéna Dagnogo
Bildhauer und Maler, Abidjan, Elfenbeinküste
Assemblage: Holztür der Dogon (Mali) mit drei geschnitzten Figuren
Sandfarben, Schnur, Sackleinwand, Kerben
150 x 99 x 11 cm
Provenienz: Espace d'Art Contemporain, Jean-Jacques Schnegg, Grand Bassam, Elfenbeinküste
Preis: 7200 €
Wenn sich eine Tür schließt,
öffnet sich eine andere
Grand Bassam – eine ehemalige französische Kolonialstadt an der Côte d‘Ivoire. Ruinen künden von verschwundener Pracht. Am Ufergarten des Hotels „Le Wharf“ stehen unter Palmen zahlreiche Colon-Figuren, die lokale Holzschnitzer Anfang des 20. Jahrhunderts von den französischen Kolonisatoren schufen. Zwischen den alten Gemäuern hüpfen Affen, ansonsten Totenstille. Von dem, wie es scheint, letzten Kolonialisten wird ein Schimpanse an einer langen Kette als Maskottchen gehalten.
Colon-Figur im Garten des Hotels Wharf (Assoyam Beach), Grand Bassam, 1997. Foto: © Michael Drechsler
Plötzlich stehe ich vor einem glanzvollen Gebäude im Kolonialstil. Ein Schild mit der Aufschrift „L’Espace d’Art Africain Contemporain“ zieht mich ins Innere. Vom grellen westafrikanischen Sonnenlicht ins Dunkle, an das sich die Augen erst gewöhnen müssen. Unversehens durchflutet Licht den Raum. Jean-Jacques Schneck, ein Galerist aus der französischen Schweiz, begrüßt mich. Er wird mir später erzählen, dass ihn sein Ausstieg aus der Schweizer Kleinwelt frei gemacht habe, dass er hier seine neue Heimat gefunden habe und er „niemals“ mehr in die Schweiz zurückkehren wolle. An den weiß gekalkten Wänden hängen abstrakte Zeichnungen unbekannter Künstler, auch einige Skulpturen stehen im Raum. Ich wähne mich beinahe in einer europäischen Galerie, wären da nicht ausschließlich Namen, die vermutlich nur von Künstlern Afrikas stammen. In einer Nische erblicke ich eine gewichtige, bearbeitete Holzplatte, die unmittelbar mein Interesse erregt.
Es ist eine Zimmerarbeit, eine ehemalige Tür, die auf der Rückseite mit Balken zusammengehalten wird und nun als „Hommage aux ançiens“ ihren Weg in die Galerie von Jean-Jacques Schnegg gefunden hat. Diese Tür, die früher vermutlich den Eingang eines Getreidespeichers der westafrikanischen Dogon-Ethnie schmückte, wurde nun von Tiébéna Dagnogo in ein Kunstwerk verwandelt, das den Vorfahren der Region zur Ehre gereichen sollte. Dagnogo war zur Zeit meines Besuches in Grand Bassam einer der bekanntesten Künstler der „Elfenbeinküste“. Er sammelte damals Relikte der Dogon und anderer Ethnien, um auf deren Geschichte und Bedeutung für die Gegenwart aufmerksam zu machen. Er erkannte in diesen ausrangierten Fundstücken Gegenstände, deren Schönheit und traditionelle Wertschätzung er ins Zentrum seiner Kunst rücken wollte. Die gefundenen Objekte bearbeitete er, indem er z. B. Teile mit einer Säge entfernte, Nägel und Bleche hinzufügte und sie bemalte. So entstanden Gebilde, die die ursprüngliche Gestalt in eine freie Sphäre heben, sie mit neuer Bedeutung belegen und gleichzeitig zurückverweisen auf ihre Herkunft, die selbst schon schöpferischer Natur war.
Mit Schnitzereien verzierte Getreidespeicher-Tür der Dogon (Mali). Foto: Stefan Machwirt - 23.02.2021
„Hommage aux ançiens“ ist ein gekonntes Zusammenspiel von Vorgefundenem und Erfindung. Wo das Alte ruht und das künstlerische Neuland beginnt, lässt sich kaum ermessen. Die Form einer Tür ist nur noch ahnbar, denn oben und unten hat der Künstler Bestandteile weggenommen; die zahlreichen, ausgesägten Dreiecke, die wie offene Münder das schrundige Holz durchbrechen, geben dem Objekt etwas Magisches. Magisch wirken auch die augengleichen Löcher, um die der Maler rote Kreise und Halbkreise angebracht hat. Welche Ursprungsfarbe das Tor hatte, ob es schon erdfarben war, welche Farben hinzugefügt wurden, und ob Dagnogo ältere, aufgeklebte Blechplättchen wieder entfernt hat, bleibt rätselhaft. Aus dem Zentrum des Tableaux blicken mahnende „Wächterfiguren“, die die Dogon traditionell zum Schutz des Hauses angebracht haben. Ihre Strenge, ihre formale Steifheit, ihre Hölzernheit weisen und wehren ab. Sie scheinen zu sagen: „Bis hierher und nicht weiter!“ Sie imaginieren die Grenze, die zu überschreiten nicht straflos vollzogen werden darf. Jedoch: ein Wächter fehlt. Er ist sichtlich herausgemeißelt. Welch ein Mut! Die frei gewordene Stelle hat der Künstler einfach mit einem kühnen, blauen Strich übermalt. Auch um die anderen Wächter leuchten blaue, rote und weiße Farbfelder. Schwungvoll und erfrischend. Für mich ein Zeichen der Autonomie. Dem Zwang, der von den Wächtern verkörpert wird, muss der freie Mensch nicht folgen. Er darf seinen eigenen Kopf gebrauchen, um das überlieferte Erbe schöpferisch umzugestalten. Individuum versus Gemeinschaft. Dagnogo respektiert die Kunst traditioneller Gesellschaften. Er eignet sie sich an und führt aber zugleich darüber hinaus, um eine Öffnung für das Neue zu reklamieren.
Text: Michael Drechsler