von Kakoma Kweli
Brown Serpentine, 36 x 24 x 14,5 cm, 16 kg
Provenienz: Kakoma Kweli, Tengenenge, Zimbabwe 1994
Preis auf Anfrage
Kweli bringt den Stein zum Tanzen
Kakoma Kwelis Skulptur „Dancing Mask“ wirkt wie eine Erinnerungskapsel, die erst auf den zweiten Blick aufspringt und ihre eingebannten Energien freigibt. Zu ihren besonderen Kennzeichen gehören die Doppelgesichtigkeit und die asymmetrische Organisation des Werkaufbaus. Die Skulptur hat keine eindeutig benennbare Vorder- und Rückseite und ist von trapezförmiger Gestalt, unten mit abgeflachter, stark eingeschnittener Basis und nach oben schräg in eine stumpfe Spitze auslaufend. Der braune Serpentin verleiht ihr einen braun-rötlich schimmernden Farbklang, und die feinnervigen Verästelungen des Steins erzeugen an manchen Stellen Marmorierungseffekte.
In der Ansicht (Abb. Mitte) scheint sich der Kopf in einer
stabilen und eher statischen Gleichgewichtslage zu befinden. Die blockhafte,
kantige Form verleiht ihm trotz der Größe von nur knapp 40 cm Höhe und rund 15
cm Breite eine gewisse Kompaktheit und eine bewahrende und konzentrierende
Gestalt. Das stark stilisierte Gesicht, beidseitig auf wenige formelhafte
Zeichen reduziert, weist keinerlei geschlechts- oder
altersspezifischen Merkmale auf. Es erscheint flüchtig dahingeworfen, präsent
und gleichzeitig absent. Eine Art Brennpunkt bilden die runden, leicht
herausstehenden Augen. Wohin schauen sie? In sich hinein, in die Ferne, zum Betrachter? Hier liegt das rechte Auge tiefer und ist ruhend nach
innen gewendet, während sich das linke Auge geradezu in einer „rollenden“
Bewegung nach außen zur Seite richtet.
Die angedeutete Drehbewegung wird durch die Intensität der farblichen Aktivität des Steines unterstützt. Diejenige Werkseite, die sich nach rechts oben verlängert, weist deutlich über die gesamte Höhe eine stärkere Rottönung auf. Insbesondere im oberen Bereich befinden sich zahlreiche schwarze Einsprengsel, die ein unruhiges Flimmern erzeugen. Auch die deutlich von Werkzeugspuren gezeichneten Oberflächen, hier hat Kweli auf beiden Seiten stakkatohaft Schnittkerben und Unregelmäßigkeiten eingearbeitet, tragen zur Steigerung der Dynamik bei.
Und plötzlich, hat man die Einzelheiten aufgenommen und in Bezug zum Ganzen gesetzt, ist eine körperliche Resonanz, ein Sog spürbar und es gibt keine Statik und keinen Stillstand mehr. Alles gerät in Bewegung: das Werk, das Auge des Betrachters, sein Sehen, Denken und Empfinden. Zeiterfahrung wird zum konstitutiven Element der Skulptur, sie tanzt. Die Zusatzinformation des Werktitels „Dancing Mask“ wird nahezu entbehrlich, kommt doch in der Arbeit selbst schon ein wesentlicher Moment zum Ausdruck, nämlich das Durchleben des Tanz-Prozesses.
Feldfoto von einer Postkarte aus den 1920er Jahren, die einen Lwena Pwevo/Pwo-Darsteller mit einem Fliegenwedel und einer Handrassel zeigt. Die Maske tanzt mit den Frauen, die klatschen und singen, um den Künstler musikalisch zu begleiten. Foto aus dem Baltimore Museum of Art. Mit freundlicher Genehmigung des Baltimore Museum of Art.
Ohne Kontext ist jede künstlerische Arbeit die Hervorbringung ihrer selbst. In dieser Weise habe ich mich Kwelis Skulptur bis zu diesem Punkt angenähert. Als Werkessenz kristallisierte sich die Verbindung unterschiedlicher Raum- und Zeitebenen und das gekonnte Wechselspiel von Statik und Dynamik heraus: das Eintauchen in die Ebene der Dauer bei festem Bezugspunkt und der Mitvollzug von Drehbewegungen verbunden mit dem Gefühl unbegrenzter Räumlichkeit beim Umschreiten.
Dass Kakoma Kwelis Arbeiten nicht völlig losgelöst von seiner angolanischen Herkunft und Tradition zu verstehen sind, darauf hat er selbst mehrfach hingewiesen (vgl. hierzu das Tonbandinterview von Michael Drechsler mit Kakoma Kweli, 26. 11. 1991). Hieraus geht hervor, dass er früher selbst Tänzer war und den Stein wie einen lebendigen Stoff betrachtet, den er für sich nutzen kann, um Erinnerungen und Verlusterfahrungen auszudrücken. Zieht man zudem noch weitere Werke von ihm hinzu – der Tanz ist eine über mehrere Jahre variierte Thematik – so wird deutlich, dass er wesentliche Impulse für die künstlerische Umsetzung dem Likishi-Tanz seines Volkes, der Mbunda, entlehnt hat.
Der Abstand zwischen Kwelis Ursprungsheimat Angola und seiner zweiten Heimat Simbabwe hat Spuren mit einem unübersetzbaren Rest bei der Übertragung von Erinnerung in seinem Werk hinterlassen. Aus diesem Abstand und seiner Grenz-Identität schlägt der über Siebzigjährige in seiner Künstlerheimat Tengenenge produktives und zugleich lebensförderndes Kapital. Indem er in einfach wie kühner Weise stabile Bilder der Vergangenheit mit neuen Gegenwarterfahrungen amalgiert, ist seine künstlerische Strategie vergleichbar mit der Strategie oraler afrikanischer Dichtungen. Auch die Vortragenden denken in „Begriffen des Flüssigen“, um Tradition durch ständige „Neu-Schöpfung“ zu bewahren.[1] Die erinnerte Lebenszeit, die sich wie eine gegenwärtige äußert, macht Kweli gleichsam zum historischen Chronisten, der auch das Bildgedächtnis seiner Betrachter formt.
Autorin: Angelika Sommer
[1] Zur mündlichen Dichtung und Performances in tradierten Kulturen Afrikas vgl. Joachim Fielbach, Beweglichkeit und Dauer, Context XXI, S. 1-7