von Rashid Jogee
Sandstein, 38 x 44 x 20 cm, 22,5 kg
Provenienz: National Gallery of Zimbabwe, Harare, Simbabwe 1991
Ausstellungen: "African Heritage 1991", National Gallery of Zimbabwe, Harare, Simbabwe 1991
SchlossGalerie Haape,
Caputh bei Potsdam, 2021
Preis: 950 €
Ein himmlischer Motor-Biker
Rashid Jogee experimentierte am
Anfang seiner künstlerischen Laufbahn
als Maler und Bildhauer. Während er mit seinen abstrakten, expressiven Gemälden seit den 90er Jahren
bis in die Gegenwart großes Aufsehen im südlichen Afrika erregt, sind seine Skulpturen fast unbekannt. Als
ich 1991 bei meinem ersten Besuch in Simbabwe in Harare und im Künstlerdorf Tengenenge die sogenannte „Shona-Bildhauerkunst“ kennenlernte, dachte ich zuweilen, dass
es in diesem Land gar keine andere Art und Weise der Bildhauerei gäbe. Charakteristisch für diese Kunst war und
ist es, sich beim künstlerischen
Schaffensprozess vornehmlich von den traditionellen Mythen und Geisteswelten
der Shona-Ethnie inspirieren und lenken zu lassen. Titel wie „Mixed Mother Animal“ von Gift Chengu deuten auf diesen
skulpturalen Themenkomplex hin.
Ganz anders Rashid Jogee. Weitab von den Einflüssen der Bildhauergemeinden in und rund um Harare fand der Künstler indischer Herkunft in der südwestlichen Stadt Bulawayo einen eigenen Weg, sich bildhauerisch zu verwirklichen. Schon die Steine, die er in der Umgebung seines Wohnsitzes aus dem Boden brach, verweisen auf eine andere lokale Region. Während die Künstler und Künstlerinnen der Shona-Tradition hauptsächlich mit dem Serpentinstein und dem sogenannten „Springstone“ arbeiten, Steinen, die nach Schliff und Politur ihre innere Struktur, Maserung und Farbigkeit zum Vorschein zu bringen, haben wir es bei Jogees Skulptur mit einem spröden und sandfarbenen Stein zu tun. Aus früher Zeit sind im südlichen Matabeleland Felsblöcke und Mauern aus Sandstein als Weltkulturerbe bekannt, vergleichbar mit manchem Gestein, das man an alten gotischen Kathedralen sehen kann.
Beim ersten Anblick dieses Kunststücks in der National Gallery of Zimbabwe war ich regelrecht frappiert. Im Gegensatz zum Serpentin wirkt der Sandstein zunächst kühl. Erst, wenn man die Skulptur näher betrachtet, erkennt man die unterschiedlichen Farbtöne, von sandfarben bis gelb, rot und braun. Der Stein bekommt dann eine warme, erdhafte und beruhigende Ausstrahlung, fast, als würde man neu mit der Natur in Kontakt treten.
Jogee versucht nicht, das Innere aus einem Stein in Einklang mit mythischen Traditionen sichtbar zu machen, sondern ihm geht es um die spielerische Auseinandersetzung mit dem vorgefundenen Material, um das Spannungsverhältnis mit den Formen, um ein Experiment. Dabei reizen auch ihn die Kerben, die die Natur in die „tote“ Materie eingebrannt hat. Frei „nach den Gesetzen des Zufalls geordnet“ bilden diese Nahtstellen Animationspunkte und -ketten für die kreative Arbeit. Plötzlich haben wir einen „Motor-Biker“ vor Augen, der sich immer wieder im Gleichgewicht halten muss, um voranzukommen. Von einer Seite sieht er mit seinem ausladenden Unterteil kompakt und unumstößlich aus. Beinahe wie ein Ungetüm kommen dem Betrachter bauchige Formen entgegen. Auf der anderen Seite sehen wir schräge, radartige Ausbuchtungen und das rätselhafte Objekt erscheint wie aus der Kurve getragen. Die wellenartigen und halbrunden Formen haben etwas Futuristisches, wie rasch mit dem Pinsel hingeworfene Schriftzeichen, die eine stürzende Bewegung simulieren.
Es liegt nahe, dass der Künstler zu seiner Idee direkt vor Ort in Bulawayo angeregt wurde, wo sich die längste Motorsportrennstrecke des Landes befindet. Die Auto- und Motorradrennen auf dem Breedan Everard Raceway sind legendär und ziehen national und international zahlreiche Biker an. Doch Jogees Engel ist nicht von dieser Welt, und er hat keine menschlichen Proportionen und Eigenschaften. Er braucht keine von Menschen erdachten Gerätschaften, um seine Aufgaben zu bewerkstelligen. Er ist weder an Zeit noch an Raum gebunden. Er ist ein Ergebnis künstlerischer Phantasie, die uns anregt, den Boden der realen Welt für einen Moment zu verlassen und in den Bereich der Schwerelosigkeit zu brausen.
Autor: Michael Drechsler